Berlinale-Gewinner José Padilha im Interview


José Padilha hat einen radikalen Film über den Hunger gedreht. Seine Dokumentation "Garapa" beobachtet drei brasilianische Familien, die in größter Armut leben

tip: Senhor Padilha, Sie haben im letzten Jahr den Goldenen Bären gewonnen. Trotzdem ist Ihr Film "Tropade Elite" in Deutschland bis heute nicht ins Kino gekommen. Warum nicht?

José Padilha: Ich fände es schön, wenn mein Film auch in Deutschland liefe, aber das hängt nicht von mir ab. Die Weinstein Company besitzt die Rechte dafür und verlangt einen Preis von den Deutschen Ki­no­verleihern. Die wiederum müssen berechnen, ob der Film einen wirtschaftlichen Sinn macht.

tip: Ihr neuer Beitrag auf der diesjährigen Berlinale ist ein schwarzweißer Dokumentarfilm über Armutund Hunger, gedreht im brasilianischen Bundesstaat Ceará. Was war Ihre Motivation für diesen Film?

Padilha: Normalerweise wird Hunger in den Medien von einer Makroperspektive, also aus der Sicht der Wirtschaft, der Geografie oder der Umwelt, diskutiert. Das sind übergreifende Gründe für Hunger und seine statistischen Verläufe. Das ist zwar sehr wichtig, aber ich denke, eine andere Perspektive zeigt ebenfalls, wie ernsthaft dieses Problem ist. Hunger wird selten aus einer persönlichen Perspektive gezeigt, selten bekommen wir die täg­liche Realität gezeigt, auch wenn – nach UN-Statistiken – weltweit 920 Millionen Menschen unter diesen Konditionen leben. Ich wollte einen Film machen, der auf eine persönliche Art zeigt, was Hunger bedeutet. Ein Film über die, die jedenTag mit dem Problem kämpfen.

tip: Wie haben Sie diesen Film ent­wickelt, wie sind Sie zu Ihren Protagonisten gekommen?

Padilha: Ich wollte von Beginn an den Film bis auf essenzielle Dinge reduzieren, alles Überflüssige wegnehmen. Genau so, wie das Leben von meinen Protagonisten alles weg­nimmt, an das wir uns gewöhnt haben. Also nahm ich alle Farbe, Musik und Effekte weg. Ich wollte die Realität so roh als möglich einfangen, auch wenn das bedeutete, einen Film wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu machen. Wir haben mit Handkameras gefilmt und möglichst mit festen Brennweiten. Interviews haben wir nur geführt, wenn es unbedingt nö­tig war. Schließlich habe ich auf eine aufwendige Montage und Nach­vertonung verzichtet. Ich habe auch die Familien nicht beson­ders penibel ausgesucht, ich bin zu denSozialeinrichtungen gegangen, habe auf die erste Familie gewartet, die Interesse hatte, mitzumachen, und bin ihnen gefolgt. Ich habe die Familien beim Filmen gefunden, nicht schon vorher, und bin ihnen dann 30 Tage gefolgt.

tip: Warum haben Sie in Ceará gedreht?

Padilha: Wir haben in Ceará gearbeitet, weil es einfacher war, drei Familien in komplett verschiedenen Kontexten zu filmen: in einer großen Stadt, auf dem Land und in einer kleinen Stadt. Aber einen ähnlichen Film kann man überall in Brasilien machen.

Interview: Lennart Laberenz