"Komm nicht zurück. Erschieß dich lieber gleich"

Die andere Stadt: Ramallah

von Lennart Laberenz (tip 17, 08/2009)

Am Abend sitzen sie wieder in der kleinen Nische vor der Backstube und ziehen bedächtig an den Wasserpfeifen. Der älteste hier ist Tysser Abu Quaider, sieben Kinder hat er und vielleicht sind sie es, vielleicht der Sport: Man sieht ihm die 58 Jahre nicht an. Sein Platz ist auf einem der Blechstühle, die sie vor etwa zwanzig Jahren aus Syrien mitgebracht haben.

Tysser trägt schon den schwarzen Kaftan. Gleich singt der Muezzin zur Nacht, gleich geht es in die Moschee. Yasser ist vier Jahre jünger, hat einen Sohn mehr und spricht nicht viel. Er blickt lieber ins Abendrot und hat das Mundstück der Pfeife in die breite Zahnlücke am Oberkiefer geklemmt. Die Bäckerei in den wohl hundert Jahre alten Mauern gehört dem Familienarm der Cousins um Naseer (41), seinem Bruder Ahmad (42) und dem jüngeren Hazem (36). Er ist seit ein paar Monaten wieder in Ramallah, nachdem er dreizehn Jahre in Chicago gelebt hat. Den größten Teil davon illegal. Ab und zu blickt noch Mazen (39) aus der Tür, auch er einer der Eigentümer und jetzt schon mit der Nachtschicht zugange. Etwa tausend Brotschleifen rollt er aus und wälzt sie in Sesam.

Mazen hat nur fünf Kinder und damit weniger als die anderen, die zwei des ausgewanderten Bruders zählen noch gar nicht richtig – sie sind in Chicago und warten auf den Vater.
„Komm nicht zurück. Nicht mal für ein paar Monate,“ hatten Brüder und Cousins Hazem geraten, „erschieß dich lieber gleich.“ Jetzt sitzt auch Hazem wieder an der Ecke zur Altstadt, auf der Rückseite des geschlossenen Ramallah Museums. „Ich langweile mich ein bisschen,“ sagt der, sofort wieder weg will er, wenn die Papiere kommen. „Ich fange schon an, mit mir selbst zu reden.“ Dabei blickt er den Hang hinab, wo die neuen Siedlungen in den steinigen Hügeln zerfasern.

Ramallah wächst schnell, es gibt Geld aus den USA, die Stadt ist Regierungssitz und hat vielleicht die weltweit höchste Dichte an NGOs. In Hazems Rücken kann sich die Altstadt nicht recht entscheiden, ob sie Touristen anlocken, oder in sich selbst zusammenfallen will: Die prekäre Balance hat ihren Charme, aber hier leben, nein danke.
Und doch ist Ramallah die liberalste, weltläufigste und virilste Stadt in der seit 1967 besetzten Westbank, dem bisschen also, was von Palästina übrig geblieben ist. Am Abend flanieren etliche der vielen hundert Internationalen die Jaffa Road herunter, auf den Gartenterrassen der Snowbar gibt es selbstverständlich Bier und Wein und später treffen sich viele im Zen Club. Hier kann man sich prima über die eigenen Projekte unterhalten, gerne auch über Mauerbau aufregen. Schrecklich, der Tote letzte Woche in Bi’lin. Ja, ein Bier noch.

All dies ist den Abu Quaiders fremd. Wohl ebenso wie das kaum zehn Kilometer entfernte Jerusalem – sie kennen es nur noch aus dem Fernsehen, die Mauer verläuft am östlichen Rand Ramallahs und so haben sie auch ihren alten Familiensitz seit Jahren nicht gesehen. Bei einem Abend vor der Backstube geht es natürlich auch um die Besatzung, im fernen Chicago sah Hazem während der zweiten Intifada seine Mutter auf CNN, sie stritt mit einem israelischen Soldaten, der im Begriff war das Haus der Familie zu räumen; sie erzählen von den langen Warteschlangen an den Checkpoints, die die Westbank überziehen. „In der Zeit komme ich nach Jordanien und zurück,“ lacht Tysser. Warum die Mauer um Israel partout Schäfer von ihren Weiden, Familien von ihren Angehörigen, Clans von ihren Häusern trennt, fragen sie wohl auch. Allerdings erzählen sie gelassen, mit sachlichem Ton. „Wenn jemand den Israelis partout Probleme machen will, kriegen sie ihn am Ende dran,“ murmelt Naseer zwischen zwei Pfeifenzügen. Um die Ecke zeugt ein Mahnmal davon, was dies bedeuten kann: Auf offener Straße kam jemand, erschoss einen politischen Kämpfer und verschwand. „Es ist hart und ungerecht, aber wer keine Schwierigkeiten macht, kommt schon irgendwie durch. Zumindest bei den Israelis,“ sagt Hazem. Wichtiger aber sind Familie und Kinder. Der Deutsche Journalist ist auch noch Vegetarier? Kein Wunder, dass er keinen Nachwuchs hat.


Ernster wird es allerdings, als zwischen den Pfeifenzügen Korruption, Machtanmaßung und Willkür der eigenen Regierung, der Polizei und wer sonst noch einen Ausweis der vielen Sicherheitsbehörden tragen darf, diskutiert werden. Haben die willkürlichen Strafzettel, die herablassende Arroganz und der Umstand, dass der fünfzehnjährige Sohn auf den Touren mit dem Marktkarren der Bäckerei regelmäßig bedrängt und vor wochenfrist von Polizisten sogar verprügelt wurde, mit Israel zu tun? Es gibt keinen Zusammenhalt mehr, sagen sie dann, die Clans streiten in vielen Teilen der Westbank wieder um die Macht, der Gewaltpegel steigt. Grade nahm die Palästinensische Autonomiebehörde zehn Hamas-Kämpfer fest. Sie hatten Waffen und Pläne zur Ermordung des Präsidenten und etlicher Politiker.

Vor kurzem parkte jemand ein Wagen vor einer Bäckerei, das gefiel den Bäckern nicht. Als jemand den Streit schlichten wollte, bekam er ein Messer in den Rücken. Anfang Juli starb er im Krankenhaus.
Allerdings hat Hazem deshalb jetzt wohl wieder eine Frau. Zwei Monate waren er und eine Verkäuferin wortlos umeinander geschlichen. Als sie von dem Toten hörte und Hazem eine Woche nicht im Laden auftauchte, glaubte sie, der Streit sei vor der Backstube der Abu Quaider ausgebrochen, nahm sich ein Herz und fragte nach Hazem. Eine Woche später sprechen sie schon über die Hochzeit.

Jetzt sitzen sie wieder in der Nische, blubbern mit ihren Pfeifen und freuen sich. Wenn alles gut geht, wird auch Hazem bald ein paar mehr Kinder haben.


Anreise:
Nach Ramallah kommt man recht einfach – Flug bis Tel Aviv z.b. mit der Swiss von Tegel, dort das Sammeltaxi (50 Shekel, ca. 10 Euro) bis zum Damaskustor in Jerusalem, weiter geht es mit dem Bus 18 bis zur Stadtmitte.

Wohnen: Absteigen am besten vor Ort buchen und dann vor Freude über das gesparte Geld und vor Mücken in die Hände klatschen; am dünnen Buffett des City Inn Palace (EZ 60 U$/DZ 80 U$) treffen sich Journalisten mit amerikanischen Demo-Touristen, Geschäftsleuten und frisch eingetroffenem NGO-Nachwuchs.

Essen: Die besten Falafel gibt es bei Iyad, der höchstselbst und immer freundlich an der Kasse zwinkert (rechts ab vor dem Eiscafé Rukab, auf der linken Seite Richtung Al Se’a), internationaler und doch im Preis angemessen ist das Zyriab auf der Rukab Straße.